[Fachartikel: erschienen in Website Boosting, 07/2014]

Wie sieht ein einfacher Kundenlebenszyklus aus?

Abbildung 1 zeigt einen schematischen Kundenlebenszyklus von Anfang bis zum Ende. Der Kundenlebenszyklus beginnt in diesem Beispiel mit der Funktion Produktentwicklung, die ein bestimmtes Bedürfnis unseres Kunden voraussetzt und entsprechende Angebote in Form von physikalischen Produkten oder Dienstleistungen entwickelt. Dies geschieht häufig auf Basis von Kundenbefragungen, strategischen Überlegungen oder auch auf Wunsch eines Vorgesetzten mit „lustigen neuen Produktideen“. Eventuell handelt es sich bei dem neuen Produkt aber auch um die Weiterentwicklung eines bereits bestehenden Produkts, in das die Verbesserungsvorschläge von früheren Kunden eingeflossen sind. Die Eckdaten und wichtigsten Verkaufsargumente des neuen Produkts werden zusammen mit dem Marketing entwickelt oder, je nach Organisationsform des Unternehmens, einfach an das Marketing „übergeben“.

Die weiteren Aufgaben des Marketings sind es darauf Argumente und entsprechende Kampagnen zu entwickeln, welche die ins Auge gefassten Zielgruppen zum Kauf bewegen sollen. Mit einer beispielsweise per Google-Adwords geschalteten Kampagne beginnt die sogenannte Customer Journey, die den Weg des Kunden vom ersten Kontakt mit dem Angebot bis hin zum Kauf beschreibt.

 

Kundenlebenszyklus

Abbildung 1: Ein schematischer Kundenlebenszyklus vom Anfang bis zum Ende

In diesem Beispiel ist es das Ziel der Marketingkampagne bei den anvisierten Interessenten bzw. bald-Kunden Interesse am Produkt zu generieren und diese z.B. zur Kontaktaufnahme mit einem Vertriebsmitarbeiter zu bewegen.

Die Vertriebsmitarbeiter, z.B. Shopmitarbeiter eines Telekommunikationsunternehmens oder Reisebüromitarbeiter bei einem Reiseveranstalter, freuen sich über den Kontakt mit den neuen Interessenten und beraten ihn umfassend. Zu einem gewissen Anteil (im Online-Geschäft wird dieser durch die Conversion-Rate angegeben) wird es den Vertriebsmitarbeitern gelingen den Interessenten zum Kauf zu bewegen und ihn so zum Kunden zu wandeln.

Die obigen Schritte beschreiben eine vereinfachte Customer-Journey, wie sie täglich im Rahmen der Einmalkauf-Ökonomie betrachtet wird. Diese Einmalkauf-Ökonomie ist häufig auf den reinen Produktabsatz fokussiert und betrachtet dabei lediglich die Schritte: Marketing > Vertrieb > Verkauf. Es drängt sich hierbei der Eindruck auf, dass der individuelle Kunde nur eine untergeordnete Rolle spielt, da dieser dabei häufig als reiner Abnehmer der in der aktuellen Marketingkampagne beworbenen Produkte vorkommt.

Nur wenige Unternehmen scheinen sich die Frage zu stellen, was nach der Bezahlung des neuen Produkts beim Kunden passiert. Dies hier sind nur einige der Fragen, die man sich stellen sollte:

  • Was geschieht nach der Bezahlung? Wird der Kunde über alle weiteren Schritte inklusive präziser Terminierung informiert?
  • Wie gelangt der Kunde in den Besitz des Produkts? Muss er das z.B. nicht zugestellte Paket bei der nächstgelegenen Paketstation oder Postamt abholen?
  • Wie fühlt es sich an das Produkt zum ersten Mal auszupacken? Ist die Verpackung so stark eingeschweißt, dass sich die eine oder andere Kundin gleich einen Fingernagel abbricht?
  • Wie kann der Kunde sein neues Produkt „in Betrieb“ nehmen? Liegt dem Paket eine zwar allen rechtlichen Anforderungen entsprechende Anleitung bei, der Kunde muss in dieser aber erst den Teil in seiner Muttersprache zwischen zwanzig anderen Sprachversionen finden?
  • Wie ist das Erlebnis der regelmäßigen Nutzung? Ist Ihr Produkt selbsterklärend, oder verweist Ihre zugehörige Service-Webseite zuerst auf F.A.Q.-Listen und Kundenforen?

Dies ist ein kleiner Teil des Fragenkatalogs, den sich Unternehmen, die nach der Stammkunden-Ökonomie arbeiten, regelmäßig näher ansehen. Denn die Stammkunden-Ökonomie hört mit der Betrachtung des Kunden nicht wie die klassische Customer-Journey beim Kauf auf, sondern widmet sich ganz gezielt allen Möglichkeiten zur Eroberung des Kundenherzens. Denn wenn Ihnen, Ihrer Marke und Ihren Produkten das Kundenherz „gehört“, reichen bereits deutlich geringere Marketingaufwände, um ein Folgegeschäft zu generieren.

Das in Abbildung 1 dargestellte Ende der Kundenbeziehung bedeutet also nicht unbedingt, dass der betrachtete Kunde verstirbt, sondern deutet lediglich an, dass es für jede Kundenbeziehung ein bestimmtes Zeitfenster gibt, in welchem es Ihnen gelingen sollte Ihre Interessenten zu Kunden (Conversion) und Ihre Kunden zu Stammkunden (Disversion) zu machen.

Auf der Suche nach dem 360°-Kundenblick

Die mögliche Komplexität eines Kundenlebenszyklus wird noch gesteigert, wenn man dessen einzelnen Schritte und Funktionen einzelnen Organisationseinheiten im Unternehmen zuordnet. Die Produktentwicklung erfolgt häufig im Forschung&Entwicklungs-Bereich. Das Marketing kann in Bezug zum betrachteten Produkt in einer zentralisierten Abteilung, eben der Marketing-Abteilung, erfolgen. Es wurde bis heute aber nicht nur einmal beobachtet das der Vertrieb, egal ob der unternehmenseigene oder ein eventuell ausgegliederter, mit den zur Verfügung gestellten Marketingmaterialien nicht zufrieden ist und selbst „kreativ“ wurde. Mit der Kundenbrille betrachtet kann es so ganz schnell zu Inkonsistenzen im Marketingauftritt kommen: Welche Abteilung ist eigentlich dafür zuständig das Kundenherz zu erobern? In wessen Ressort fällt eigentlich der Umgang mit Stammkunden? Ist hier die Abteilung After-Sales der richtige Ansprechpartner?

 

Silos im Kundenlebenszyklus

Abbildung 2: Eine schematische Darstellung des Kundenlebenszyklus im Zusammenspiel mit Silo-artigen Organisationsstrukturen

Betrachtet man Abbildung 2, so wird schnell klar, dass häufig Silo-artige Organisationsstrukturen dazu führen, dass unterschiedliche Abteilungen auch ganz andere Erwartungen vom 360°-Blick auf den Kunden haben. Diese unterschiedlichen Erwartungen können sich teilweise überschneiden, müssen es aber nicht. Soll das heißen, dass es den einen immer wieder geforderten 360°-Blick auf den gläsernen Kunden gar nicht geben kann?

Wo ist er denn nun, der heilsbringende 360°-Kundenblick?

Versucht man ein möglichst ganzheitliches Bild einer Organisationstruktur im Zusammenspiel mit dem Kundenlebenszyklus zu bekommen, so wird es bald notwendig auch die Geschäftsführung mit einzubeziehen.  Deren Wunsch nach einem möglichst umfassenden und stets aktuellen Überblick über alle Kundenbelange, wieder ein 360°-Blick auf den Kunden, wird häufig mit einer Kundendatenbank befriedigt. In Abbildung 3 ist das Zusammenspiel dieser Kundendatenbank mit dem Kundenlebenszyklus und den zugehörigen Organisationsstrukturen schematisch dargestellt. Zugegebenermaßen ist diese Abbildung ein wenig vereinfacht, da in vielen Unternehmen diverse Datenbanken Kundendaten halten, so z.B. die folgenden:

  • Adressverwaltung
  • Vertragsmanagementsystem
  • Mailingdatenbank
  • Webanalysesystem
  • ERP-System
  • Newsletterverwaltung
  • etc.

 

Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass die diversen existierenden Systeme die einzelnen Kundendaten stets aktuell und synchronisiert vorhalten. Wie weit ist Ihr Unternehmen von diesem Idealbild derzeit entfernt?

Los! Such die 360 Grad....

Abbildung 3: Schematische Darstellung einer Kundendatenbank im Zusammenspiel mit Unternehmensstrukturen

Die im zentralen Kundendatenbanksystem vorgehaltenen Daten werden der Geschäftsführung jederzeit und topaktuell über ein sogenanntes Dashboard (blaue Symbole) zur Verfügung gestellt. Die Geschäftsführung kann auf Basis dieser Informationen Geschäftsstrategien entwickeln und Zielvorgaben für die einzelnen Abteilungen ableiten. Die zur Umsetzung und Steuerung notwendigen Kennzahlen (KPIs) werden somit nicht nur der Geschäftsführung, sondern auch den einzelnen Abteilungen, entweder direkt oder indirekt, aus der Kundendatenbank zur Verfügung gestellt. Dies führt dazu, dass jedes Dashboard einen individuellen 360°-Blick auf den Kunden zur Verfügung stellt.

Soweit die Idee! Aber wie sieht es in Wirklichkeit z.B. in Ihrem Unternehmen aus? Zahlt jede Zielvorgabe jeder Abteilung in Ihrem Unternehmen auf die Gesamtstrategie ein? Ist es bei Ihnen bereits vorgekommen, dass aus Versehen zwei Abteilungen gegenläufige Zielvorgaben erhalten haben? Wie kann so etwas sein, wenn doch alle Beteiligten, inklusive der Geschäftsführung, über den einen 360°-Kundenblick verfügen?

Einige Gründe für die verschiedenen Blickwinkel auf den Kunden sind z.B.:

  • den einen 360°-Blick auf den Kunden gibt es nicht
  • alle Beteiligten sind Menschen und damit fehlbar
  • die Bemühungen anderer Abteilungen werden bewusst „sabotiert“, da man „es besser weiß“
  • persönliche Interessen werden absichtlich vor die Interessen des Unternehmens und der Kunden gestellt

 

Zusammengefasst: Es ist extrem schwierig einen 360°-Blick auf den Kunden zu erhalten, da man nie sicher sein kann, ob dieser nicht irgendwie unvollständig oder sogar manipuliert ist.

Die Lösung: Besser wenige, aber dafür überlegte und gezielte Kundeninteraktionen

Hören Sie auf einen Großteil Ihrer Bemühungen in den ach so erstrebenswerten 360°-Blick auf den Kunden zu investieren und beginnen Sie damit sich mit dem Kunden wirklich aufrichtig und ehrlich zu beschäftigen. Verbringen Sie wieder größer werdende Anteile Ihrer Arbeitszeit damit sich zu überlegen wie Sie eine wirkliche Beziehung zu Ihrem Kunden aufbauen können. Hier helfen die folgenden Fragen weiter:

  • Wann gibt es einen Grund für eine echte Kundeninteraktion?
  • Warum wollen Sie ausgerechnet jetzt dieses Mailing an Ihre Kunden versenden? Weil Sie schon lange keines mehr gesendet haben? Weil noch Budget für diese Kampagne zur Verfügung steht? Weil Sie Ihr Unternehmen noch einmal ganz allgemein in Erinnerung rufen wollen? Sind Sie sicher, dass sich prinzipiell jeder Empfänger über Ihr Mailing freuen wird?
  • Woran kann es noch liegen, dass Ihre Response-Rate bei der letzten Kundenaktion so außergewöhnlich klein war? Hat der Kunde Sie wieder einmal nicht verstanden, oder haben Sie ihm Ihr Anliegen nicht gut genug erklärt? Sind Sie sicher, dass der kontaktierte Kunde wenigstens ein generelles Interesse an Ihrer Aktion haben konnte?
  • Nutzen Sie die unternehmensindividuell festzulegende Kennzahl der Disversion-Rate in regelmäßigen Berichten zur Steuerung aller Ihrer Kundenaktivitäten? Angenommen Sie haben beispielsweise die Disversion-Rate als Verhältnis aller Kunden zu allen Stammkunden festgelegt. Versuchen Sie dann mit jeder Kundeninteraktion die Disversion-Rate zu erhöhen?

 

Nicht vergessen: Ein Bestandteil von Kundenbeziehungsmanagement ist “Beziehung”

Nicht vergessen: Kundenbeziehungsmanagement enthält das Wort „Beziehung“! Und eine Kundenbeziehung funktioniert nicht, wenn gar kein wirkliches Interesse am Kunden besteht – wie auch in jeder anderen Beziehung im wahren Leben.

Würde es Ihnen nicht auch etwas komisch vorkommen, wenn sich Ihre Ehefrau bzw. Ihr Ehemann immer nur einmal im Jahr bei Ihnen meldet, um Ihnen das Restaurant mitzuteilen in welchem Sie beide ganz romantisch den jährlichen Hochzeitstag feiern werden? Den Rest des Jahres lässt er bzw. sie nichts von sich hören bzw. sich nicht blicken. Dies wäre doch ein äußerst ungewöhnliches Verhalten, oder?

Sehen Sie eventuell Parallelen zum Verhalten Ihres Mobilfunkproviders? Meistens nimmt man ihn und seine Marke nur in Form von monatlichen Rechnungen wahr. Es sei den der Zeitpunkt der Vertragsverlängerung rückt näher. Dann erhalten Sie plötzlich Anrufe in denen Ihnen ein ganz persönliches Angebot zur Vertragsverlängerung gemacht wird. Das macht irgendwie misstrauisch, oder?

Bei sehr großen Kundenzahlen ist es natürlich nicht einfach bzw. nicht möglich eine persönliche Beziehung zu jedem Kunden aufzubauen. Aber es gibt immer Möglichkeiten sich mit durchdachten Kampagnen vom Wettbewerb abzuheben. Analysieren Sie den Kundenlebenszyklus Ihrer Kunden exakt nach Möglichkeiten eines regelmäßigen Beziehungsauf- und ausbaus. Für viele dieser Ansatzpunkte sind keine BigData-Datenmengen notwendig. Häufig reicht hier ein wenig logischer Menschenverstand und ein bisschen Einfühlungsvermögen.

Fazit

Warten Sie nicht auf das nächste Tool zum Erreichen des 360°-Blicks auf den Kunden, sondern schöpfen Sie die bereits vorhandenen Daten zu 100% aus, bevor Sie Energie in die Erweiterung Ihres Datenbestands investieren. Wann haben Sie z.B. zum letzten Mal Ihren Kunden zum Namenstag gratuliert? Ich bin mir sehr sicher, dass Ihre Kundendatenbank den Vornamen Ihrer Kunden für Sie griffbereit vorhält!