[Fachartikel: erschienen in: Banken & Sparkassen, 01/2006]

Aufgrund neuerer technischer Möglichkeiten verteilt sich die Kommunikation mit dem Kunden heutzutage häufig auf mehrere Kommunikationskanäle. Die früher zum Bankgeschäft einfach “dazu gehörende” persönliche Ansprache des Kunden tritt immer mehr in den Hintergrund. Die sich so ausbildende versteckte Kundenunzufriedenheit, gepaart mit der Tatsache, dass die Mitbewerber häufig lediglich einen Mausklick entfernt sind, verstärkt beobachtete Kundenabwanderungstendenzen.

Diesem Trend gilt es mit geeigneten – ruhig auch pragmatischen – Lösungsansätzen entgegenzuwirken. So ist dem Kunden häufig ein offenes Ohr und eine damit verbundene langfristige Qualitätssteigerung lieber, als ein innerhalb von internen (dem Kunden selten bekannten) Service-Level-Agreements zugesendetes Standardschreiben, welches ein Bedauern ausdrückt.

Gerade der Ansatz des Multikanal-Bankings hat in den letzten Jahren zu einem deutlichen Rückgang der persönlichen Ansprache und der individuellen Betreuung geführt. Eine hieraus resultierende latente Kundenunzufriedenheit, gepaart mit einer immer austauschbareren Dienstleistung “Banking” erklärt die beobachteten Kundenabwanderungen. Vielfach bietet jedoch gerade der Kundenservice ein Differenzierungsmerkmal, welches die eigenen Dienstleistungen von denen der Mitbewerber abhebt.

Kundenorientierung

Der Begriff “Kundenorientierung” nimmt im Zielsystem vieler Unternehmen seit Jahren eine Schlüsselposition ein. In fast jedem Jahresbericht wird darauf hingewiesen, dass der Kunde das höchste Gut ist und man als kundenorientiertes Unternehmen bestrebt ist, möglichst alle Prozesse auf den Kunden auszurichten. Wie sinnvoll ist es eigentlich für ein marktwirtschaftlich operierendes Unternehmen, seine Prozesse ausschließlich auf den Kunden auszurichten? Gilt es nicht eher ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen allen Stakeholdern eines Bankhauses hinsichtlich des Ressourceneinsatzes zu erlangen?

In den letzten Jahren wurde viel Aufwand investiert, um die “Kundenorinetierung” nach Außen zu tragen. So begannen viele Bankhäuser damit eine explizite Beschwerdemanagementabteilung aufzubauen. Viel Geld wird in spezielle Beschwerdemanagementlösungen oder in das Customizing vorhandener Contact-Center-Applikationen investiert. Die Beschwerdemanagemer erstellen nun häufig neben ihrem Alltagsgeschäft, aus Koordinierung der Kundenkontaktpersonen und Bearbeitung von Vorstandsbeschwerden, regelmäßige Vorstansberichte, die Auskunft über die folgenden “Kennzahlen” liefern:

  • Anzahl der eingegangenen Beschwerden pro Zeiteinheit
  • Anzahl der eingegangenen Beschwerden pro Abteilung / Filiale
  • Anzahl der eingegangenen Beschwerden pro Produkt / Dienstleistung

Meistens werden diese reinen “Kennzahlen”, deren Aussagekraft doch recht eingeschränkt ist, in den Vorstandsberichten mit entsprechendem Hintergrundwissen zur Erklärung von zeitlichen Tendenzen angereichert. Im Allgemeinen herrscht allerdings noch häufig die Vorstellung vor, dass die Anzahl der Beschwerden stets zu minimieren ist, da Beschwerden selten als “Einzelschicksal” eines Multiplikators mit entsprechendem potentiellen Marktschaden betrachtet werden. Die Erkenntnis, dass eine Beschwerde eine nahezu kostenlos erbrachte Beratungsleistung ist, ist zwar langläufig verbreitet, jedoch handeln die wneigsten Unternehmen danach, da Kundenbeschwerden oft als lästiges Aufbegehren von Quelrulanten verstanden werden. Wenn man bedenkt, wie gering häufig der ANteil der direkt an die Beschwerdemanagementabteilun kommunizierte Kundenbeschwerden ist, so wird schnell bewusst, dass – im Gegensatz zur Anzahl der Beschwerden – der Anteil der nicht kommunizierten Beschwerden zu minimieren ist, um möglichst umfassende Informationen für das Qualitätsverbesserungsmanagement zu generieren.

Sehr selten werden diese rein Kennzahl-getriebenen Vorstandsberichte von Beschwerdemanagern mit “lebhaften” Beispielen aus der Praxis angereichert. Allerdings ließe sich gerade durch die regelmäßige Kommunikation einiger repräsentativer “Einzelschicksale” das Bewusstsein dafür schaffen, dass es sich eben nicht nur um eine gewisse Anzahl von Beschwerden, sondern um viele Multiplikatoren handelt, die im Worst-Case ihren Bekannten und Freunden von den Produkten der jeweiligen Bank abraten. Im Gegensatz dazu, zeigen Untersuchungen, dass die Kundenbindung eines Beschwerdeführers steigt, wenn seine Beschwerde zu seiner Zufriedenheit bearbeitet wurde. Hierbei wird die Zufriedenheit allerdings in den wenigsten Fällen durch Gutschriften oder Wiedergutmachungsgeschenke erlangt, sondern durch das verhinderte Wiederauftreten des Beschwerdegrundes. Dies kann dadurch erreicht werden, dass die vom Beschwerdemanager vorselektierten Beschwerdegründe direkt dem Qualitätsverbesserungsmanagement zugeführt und in regelmäßigen Abständen auf Wiederauftritt überprüft werden. Als positiven Nebeneffekt fällt es dem Bankhaus umso leichter beim Kunden Cross- und Up-Selling-Aktionen zu platzieren, je mehr von ihm (z.B. auch durch die Beschwerdeabwicklung) bekannt ist. SMit bildet ein praxisorientiertes Beschwerdemanagement die Grundlage zur Steigerung des Customer-Livetime-Values und trägt somit direkt zur Ertragssicherung bei.

Beschwerdemanagement – Der Weg vom Cost- zum Profit-Center

Der “schwere” Stand des Beschwerdemanagers könnte sich langfristig deutlich verbessern, wenn sich alle Mitarbeiter eines Unternehmens über die Tragweite seines Handelns in voller Gänze bewusst wären. Einerseits bekommt der Beschwerdemanager als zentrale Ansprechperson der verärgerten Kunden diesen Unmut direkt zu spüren. Andererseits ist er Bankhaus-intern derjenige, der ständig Fehler in teilweise seit langer Zeit “gut funktionierenden” Prozesses aufzeigt und somit auch von dieser Seite mit Gegenwind zu rechnen hat. Häufig ist selbst de Beschwerdemanagern nicht bewusst, welchen pekuniären Gewinn sie für das jeweilige Bankhaus erwirtschaften. Die Beantwortung der folgenden Fragen bildet die Grundlage zur Abschätzung des erwirtschafteten Betrages:

  • Wie hoch ist der durchschnittliche Deckungsbeitrag eines Kunden?
  • Wie viele Kunden konnten durch die Arbeit des Beschwerdemanagements gehalten werden?
  • Hat sich bei den beschwerdezufrieden gestellten Kunden der Kundenwert (Customer-Lifetime-Value) aufgrund von erhöhter Kundenbindung (Verlängerung der Kundenbeziehung) und / oderUp- bzw. Cross-Selling erhöht?
  • Hat der Kunde auf Gund der psoitiven Beschwerdebearbeitung das Bankhaus an Freunde und Bekannte weiter empfohlen?

Diese Fragen können häufig nicht direkt, doch aber unter Hilfenahme von gezielt eingesetzten Kundenbefragungen abgeschätzt werden. Einer Abschätzung des an den ROI angelehnten Return on Complaint Management (ROC) steht somit nichts mehr im Wege. Aussagen, wie z.B. “Jetzt haben wir schonseit zwei Jahren ein Beschwerdemanagement, bekommen aber immer noch Beschwerden…” sollten in Zukunft einfach mit einem positiven ROC beantwortet werden können. Unter beachtung, dass mit dem Begriff “Beschwerdemanagement” nicht nur die Kundenbeschwerden im Allgemeinen, sondern im Speziellen neben Loben auch Verbesserungsvorschläge von Kunden zusammengefasst werden, erscheint der “Schritt” bis zum Bankhaus-internenVerbesserungsvorschlagwesen bzw. Ideenmanagement der eigenen Mitarbeiter nicht mehr weit. Besser geeignet ist anstelle “Beschwerdemanagement” somit der Begfiff “Impulsmanagement”, da dieser den deutlich breiteren Ansatz umfassender beschreibt. So gilt s unter Beachtung des Stakeholder-Relationship-Management-Ansatzes alle an das Bankhaus – von welchem Stakeholder auch immer – heran getragenen Impulse aufzunehmen und zu bearbeiten, um so die entsprechenden qualitätsverbessernden und somit Umsatzsichernden Maßnahmen einleiten zu können.

Stakeholder-Relationship-Management

Der sich in den letzten Jahren abzeichnende Trend zu mehr Kundenorientierung vernachlässigt, wie bei der früheren extremen Ausrichtung auf den Shareholder, häufig den gesamten sozialökonomischen Kontext eines Unternehmens. Vielfach wird vergessen, dass ein Unternehmen ja nicht nur den Stakeholdern Shareholder und Staat, sondern eben auch seinen Kunden, seinen Lieferanten und seinen Mitarbeitern gegenüber verpflichtet ist. Im Gegensatz zur einseitigen Ausrichtung auf z.B. den Shareholder-Value, wird ein Unternehmen mit Hilfe des Stakeholder-Relationship-Managements (SRM) hinsichtlich der gesamten Beziehungen zu seinen Anspruchsgruppenerfasst. Entsprechend dem Gleichgewicht in der Natur, sollte das ständige Ziel eines Unternehmens sein das Verhältnis zu allen seinen Stakeholdern in Einklang zu halten, um so eine einseitige Ausrichtung zu vermeiden.

Autoren: Prof. Dr. Georg Köpf, Dr. Oliver Ratajczak; erschienen in Banken & Sparkassen 01/2006